- DOMINIK CASTILLO
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Die Entwicklung von KI schreitet in rasantem Tempo fort. Ein Release jagt das nächste. Wohin uns dies führt und wie KI die Prozesse in Marketing und Vertrieb grundlegend verändern wird, weiß Sales-Profi und KI-Experte David Zenetti. Im Interview erklärt er, warum der Mensch – trotz Automatisierung – wichtig bleibt.
15. Januar 2025
Lieber David, als erfahrener Vertriebsprofi beschäftigst Du Dich schon seit Längerem mit KI in Marketing und Vertrieb. Wo stehen wir, was die Automatisierung von Prozessen angeht?
Das ist eine gute Frage. Ich würde sagen: In der Theorie sind wir deutlich weiter als in der gelebten Unternehmenspraxis. Schauen wir uns zum Beispiel die Arbeit im Vertrieb an. Studien zufolge wenden Sales-Mitarbeitende rund 65 Prozent ihrer Zeit dafür auf, Daten zu pflegen. Das ist doch Wahnsinn! Denn es ist schon heute mit Standard-IT, die um KI-Services erweitert ist, möglich, ein digitales Vertriebs-Meeting einfach per Mausklick aufzuzeichnen, das Gespräch mittels Speech-to-Text zu analysieren und aus dem inhaltlichen Kontext zum Beispiel vertriebliche Ziele abzuleiten. Wer also die übliche Standard-IT verwendet, muss für diesen KI-Use-Case nicht einmal zusätzliche Tools anschaffen. Was Firmen jedoch brauchen, ist ein Werkzeug, das die generierten Daten in ihr CRM-System überträgt. Wenn sich Vertriebsprofis also nicht mit der Dokumentation von Terminen und der Datenpflege beschäftigen müssen, haben sie sehr viel mehr Zeit für die eigentliche Kundenbetreuung. Nutzen Unternehmen diese Möglichkeiten? Meiner Meinung nach noch viel zu selten.
Wie sieht es im B2B-Marketing aus?
Auch hier gibt es sehr viele Möglichkeiten, KI wirklich sinnvoll einzusetzen – allen voran in der contentgestützten Lead-Generierung. Denn es ist möglich, nahezu den kompletten Prozess der Lead-Generierung zu automatisieren. Beginnen wir bei der Content-Erstellung. Zunächst brauche ich eine Buyer-Persona. Entwickle ich sie auf die übliche Art und Weise, kostet mich dies etwa zwei bis drei Arbeitstage. Habe ich jedoch ein ausgeklügeltes Mega-Prompt, reduziert sich der Aufwand auf vier bis zehn Stunden. Zudem liefert die KI nicht nur die Eigenschaften der Persona und die Herausforderungen der Branche, in der ich aktiv werden möchte, gleich mit, sondern überführt all das auch in umsetzbare Content-Ideen. Die Entwicklung einer individuellen Content-Strategie einschließlich eines Maßnahmenplans für die Umsetzung dauert also nur noch einige Stunden – und keine Tage oder gar Wochen mehr.
Welche Rolle spielt der Mensch bei alledem noch?
Der Mensch ist und bleibt wichtig – davon bin ich überzeugt. Auch, wenn viele den vermeintlich einfachen Weg gehen und KI dafür nutzen, Content zu erzeugen, ist genau das der Punkt, an dem der Mensch der KI überlegen ist. KI-generierte Texte sind – natürlich abhängig von der Qualität des Prompts – häufig zwar inhaltlich korrekt und stilistisch durchaus in Ordnung. Doch was ich immer wieder bemerke, ist, dass ihnen die Seele fehlt. Die feinen Nuancen, die einen Text besonders machen. Einem Text Leben einzuhauchen, das ist dem Menschen vorbehalten.
Interessant. Angenommen, ein Redakteur hat ein Whitepaper oder E-Book erstellt. Wie geht es dann weiter?
Nun, ein prädestinierter Anwendungsfall für generative KI ist die Bilderzeugung. Unter der Voraussetzung, dass Nutzer wissen, wie sie das jeweilige KI-Tool zu bedienen haben, sind hier wirklich großartige Ergebnisse möglich. Diese Bilder und Grafiken lassen sich verwenden, um Download-Contents, wie eben Whitepaper und E-Books, zu illustrieren. Zudem können sie in Webinare/Online-Seminare einfließen. Auch bei deren Vorbereitung unterstützt KI an vielen Stellen. Es gibt KI-Tools, die die komplette Präsentation erstellen und eine passende Landingpage aufsetzen. Nicht mal das eigentliche Online-Seminar müsste der Mensch halten. Dies kann ein digitaler Avatar tun.
Wie funktioniert das?
Der Mensch – oder die KI – schreibt den Text für das Online-Seminar, quasi ein Video-Script, und im eigentlichen Meeting präsentiert der KI-Avatar die Inhalte. Ich muss zugeben, dass dies in der Praxis noch nicht ganz zufriedenstellend funktioniert. Doch die Entwicklung schreitet in rasantem Tempo fort: Ein Tag KI-Entwicklung entspricht gefühlt gerade einem Jahr menschengemachten Fortschritts.
Doch zurück zum Prozess der Lead-Generierung. Natürlich wollen nicht alle B2B-Unternehmen Online-Seminare/Webinare veranstalten. Was sie jedoch immer brauchen – sofern sie Content-Marketing betreiben –, sind Landingpages, auf denen hochwertige Inhalte zum Download bereitstehen. Marketingprofis, die wissen, was einen guten Prompt ausmacht, können sich von der KI eine komplette Landingpage generieren lassen – mit aufmerksamkeitsstarken Headlines, überzeugenden Texten und passenden Bildern. Das funktioniert richtig gut.
Unternehmen haben also einen hochwertigen Download-Content und eine Landingpage. Wie geht es dann weiter?
Der nächste Schritt besteht darin, die gewünschte Zielgruppe auf diese Inhalte aufmerksam zu machen. Dies gelingt, indem Unternehmen zum Beispiel Anzeigen in hochwertigen Fachmedien schalten. Und auch hier gilt: Wer den Umgang mit KI beherrscht, kann sich getrost zurücklehnen und der KI dabei zusehen, wie sie einzelne Anzeigen oder sogar komplette Kampagnen entwirft.
Der Mensch muss die Anzeige aber noch selbst ins analoge oder digitale Fachmedium bringen, oder?
Stimmt. Noch braucht es dafür den Menschen. Marketing-Professionals können sich an den Werbeberater ihres Vertrauens wenden oder eine Anzeige im Selfservice buchen. Wer systemseitig gut aufgestellt ist, kann das Ausspielen eines Werbemittels in das gewünschte Fachmedium auch per Automatisierung triggern. In Zukunft wird es autonome KI-Agenten geben, deren Aufgabe genau darin bestehen könnte, eine Werbekampagne zu entwerfen und operativ umzusetzen – einschließlich der Anzeigenschaltung in thematisch passenden Fachmagazinen und auf Online-Portalen.
Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?
Ein autonomer KI-Agent kennt uns, unser Angebot, unsere Argumente, unsere Stilistik aus dem Effeff. Darum kann er ohne unser aktives Zutun eine Anzeige entwickeln und sie in verschiedenen digitalen Werbekanälen ausspielen. Doch nicht nur das. Der KI-Agent testet auch ihre Performance vollautomatisch und stellt dabei vielleicht fest, dass die Klickrate schlechter als erwartet ist. Dann untersucht er völlig eigenständig, welche Ursachen das haben kann. Lag es am unpassenden Werbeumfeld? Adressierte die Anzeige eine falsche Persona? Oder bestanden Unstimmigkeiten zwischen Text und Bild? Welchen Grund auch immer es geben mag – der KI-Agent findet ihn heraus. Und natürlich optimiert er die Anzeige entsprechend: neuer Slogan, andere Bildsprache, ein aktivierender Call-to-Action oder ein anderes Design. Und dann beginnt der Prozess des Austestens und Verbesserns von vorne – so lange, bis die Anzeige perfekt ist. Dies tut die KI übrigens für jedes einzelne Ad in jedem einzelnen Kanal.
Marketing-Professionals haben hochwertige Download-Inhalte und funktionierende Anzeigen, mit denen sie ihren Content promoten. Unterstützt KI auch das Lead-Nurturing?
Ja, das tut sie. Nutzer, die zum Beispiel ein Whitepaper herunterladen, geben dafür Daten wie ihren Namen und ihre E-Mail-Adresse preis. Ein zwischengeschalteter KI-Assistent leitet aus der E-Mail-Adresse die Firmen-Domain ab und recherchiert nicht nur Größe, Branche, Umsatz und Geschäftsführung des Unternehmens, sondern ermittelt auch, welche geschäftlichen Herausforderungen es haben könnte und wie ich als Produkt- oder Lösungsanbieter bei deren Bewältigung unterstützen könnte.
Aufgaben, die klassischerweise der Vertrieb übernimmt.
Ganz genau! Der Vertrieb muss sich um solche zeitraubenden Routineaufgaben nicht mehr selbst kümmern. Und die KI nimmt ihm noch mehr Arbeit ab. Denn sie schafft optimale Voraussetzungen für das Lead-Scoring, indem sie Firmen mit zu geringem Umsatz oder aus einer falschen Branche automatisch als Lead disqualifiziert und aus dem Nurturing-Prozess entfernt. Damit können sich Unternehmen unmittelbar auf die vielversprechenden Leads konzentrieren.
Und ab hier übernimmt der Mensch.
Noch nicht. Wer möchte, könnte anhand von LinkedIn-Profilen eine Persönlichkeitsanalyse durchführen lassen. Die KI arbeitet die Vorlieben und Herausforderungen der jeweiligen Person heraus, gibt Tipps für die inhaltliche Gestaltung eines möglichen Vertriebsgesprächs und empfiehlt Themen für einen Small Talk. Unternehmen erhalten damit einen einzigen Datensatz, der die Ergebnisse der Unternehmensrecherche und das Persönlichkeitsprofil des vertriebsrelevanten Ansprechpartners automatisch zusammenbringt. Zudem ist die KI in der Lage, eine E-Mail, die entweder die identifizierten Trigger des Adressaten oder branchenspezifische Herausforderungen anspricht, zu erstellen. Weil sie die fachliche Spezialisierung aller Vertriebsmitarbeitenden kennt und Zugriff auf deren Kalender hat, sucht sie jenen Sales-Profi heraus, der den potenziellen Kunden idealerweise betreuen sollte – und ermittelt einen Termin für ein erstes Gespräch. Die Zeitersparnis ist immens.
Das geschilderte Szenario betrifft ausschließlich den digitalen Sales. Stirbt der klassische Vertrieb damit aus?
Nein, das denke ich nicht. Noch ist das zuletzt beschriebene Szenario eine Zukunftsvision. Doch: Sie wird real sein, in wenigen Monaten. Meiner Meinung nach darf es hier kein Schwarz-Weiß geben, kein Entweder-Oder. Ich erwarte, dass sich der Sales-Nachwuchs um diese Art der Neukunden-Akquise kümmern wird – mit großem Tatendrang und der Neugierde, Innovatives auszuprobieren. Die erfahrenen Kollegen werden weiterhin ihre langjährigen Bestandskunden betreuen.
Es wird also eine Zweiklassengesellschaft im Vertrieb entstehen?
Das Risiko besteht durchaus. Daher rate ich zum Schulterschluss zwischen Jung und Alt. Die Älteren sollten offen für Neues sein, während die Jüngeren bewährte Vorgehensweisen anerkennen sollten.
Schlussendlich müssen beide voneinander lernen. Nur so kann der Vertrieb heute und in Zukunft erfolgreich sein. Es braucht ein unvoreingenommenes Miteinander.
Lass uns zum Abschluss noch über Datenschutz sprechen. Ist das denn alles gesetzeskonform, was Du beschreibst?
Es stimmt, die gesetzliche Grundlage fehlt an vielen Stellen noch. Heute befinden wir uns im Stadium des Austestens, was möglich sein kann. Ich bin der Meinung: Alles, was strategisch denkbar und technisch möglich ist, wird kommen. Ob sich dies dann im Rahmen unserer Gesetze umsetzen lässt, wird sich zeigen.
Kannst Du uns ein Beispiel nennen?
Nehmen wir die KI-Agenten. Heute verwenden wir Conversational AI. Wir haben uns daran gewöhnt, mit KI einen Dialog zu führen. Der nächste Schritt ist das Reasoning, bei der sich die KI selbst hinterfragt. Dies beginnt gerade. Darauf wird eine KI-Ausbaustufe folgen, die menschliche Interaktionen überflüssig macht – womit wir bei den Agenten sind, die zum Beispiel völlig eigenständig Verträge untereinander aushandeln. Die Frage, für die es auch aus gesetzlicher Perspektive eine Antwort braucht, ist: Wofür wollen wir dies nutzen? Was soll der Mensch weiterhin verantworten? Und wer haftet für etwaige Fehler? Dies alles sind Fragen der Haltung. Denn der Mensch ist limitiert. Er kann nicht Hunderte Verträge parallel aushandeln. Die KI schon. Wenn man das weiterspinnt und sich vorstellt, dass große Konzerne mehrere Dutzende KI-Agenten einsetzen, muss man sich schon fragen, ob man das will.
Wie lautet deine persönliche Antwort?
Nun, es ist – wie immer – eine Frage des Geldes. Momentan kostet ein Mensch dasselbe wie eine KI – einschließlich aller Arbeiten, die es braucht, um sie wunschgemäß zum Laufen zu kriegen. Doch das wird sich bald ändern. Nämlich dann, wenn sich KI selbst optimiert. Was dann passiert, wird sich zeigen. Doch ich denke, dass all das kommen wird. Zugleich bin ich davon überzeugt, dass es weiterhin der Mensch sein wird, der die wirklich wichtigen Verträge, bei denen hohe Summen im Raum stehen, aushandelt. Denn dabei geht es um Vertrauen. Darum, sich in die Augen zu schauen und den Vertrag mit einem Handschlag zu besiegeln.
Was können wir tun, um uns auf die nächsten Ausbaustufen von KI vorzubereiten?
Wichtig ist, dass Marketing- und Sales-Profis verstehen, dass KI allein nutzlos ist. Es braucht eine Strategie für die Automatisierung. Unternehmen könnten zum Beispiel No-Code-Automatisierungsstrecken selbst bauen und diese mit ihrer Bestands-IT verknüpfen. Dieser Schritt steht in vielen Unternehmen noch aus. Viele schrecken vor der Komplexität und den Kosten zurück. Dabei sind No-Code-Tools relativ günstig. Neben den Kosten für das Set-up zahlen Firmen nämlich nur die tatsächliche Nutzung. Und auch eine serverseitige Automatisierung ist möglich. Was dem im Weg stehen kann, ist der Datenschutz. Hier werden sich insbesondere die großen Konzerne selbst daran hindern, innovativ zu sein. Die Frage lautet also nicht: Lassen sich die Prozesse in Marketing und Vertrieb automatisieren? Sie lautet: Wollen wir das? Und sind wir bereit dafür?
Lieber David, vielen Dank für das spannende Gespräch und Deinen Blick in die KI-Zukunft!
David Zenetti verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in B2B-Vertrieb und -Marketing. In dieser Zeit hat er erfolgreich Top-Vertriebsteams aufgebaut und effiziente Vertriebsstrukturen implementiert. Bereits in den Anfängen der digitalen Lead-Generierung in Deutschland unterstützte er Unternehmen dabei, nachhaltige Strategien zur Neukundengewinnung zu entwickeln. Seine Leidenschaft liegt in der Automatisierung von Vertriebsprozessen. Durch den Einsatz von KI und fortschrittlichen Tools optimiert David Zenetti den Vertrieb und steigert so die Effizienz seiner Kunden. Dabei liegt der Fokus stets auf der digitalen Kundengewinnung und der intelligenten Nutzung moderner Technologien, um Unternehmen schneller und nachhaltiger zum Erfolg zu führen.
Im Laufe seiner Karriere hat er Hunderte von B2B-Unternehmen beraten und bei der Transformation ihrer Vertriebsprozesse unterstützt.
David Zenetti auf LinkedIn
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