- DOMINIK CASTILLO
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Bilder sind allgegenwärtig. Erstaunlicherweise sind wir jedoch nicht geübt darin, den visuellen Code zu entschlüsseln – im Gegensatz zum sprachlichen Code. In ihrem Fachbuch „Bildmagie – Die Codes der visuellen Kommunikation“ schildert Dr. Helene Karmasin, wie sich B2B-Unternehmen die Macht des Bildes zunutze machen können.
24. August 2022
Wir alle sind von Bildern umgeben, jederzeit und überall. Manchmal drohen wir sogar, in der Flut an Bildern zu ertrinken, man denke nur an den New Yorker Times Square. Dort werden wir von bunten Werbetafeln regelrecht erschlagen. Erstaunlicherweise sind wir jedoch nur mäßig bis gar nicht geschult darin, den Code, der einem professionell inszenierten Bild innewohnt, zu entschlüsseln – wohingegen wir von klein auf lernen, wie verbaler Code zu deuten ist. Dementsprechend ist die Funktionsweise verbal und schriftlich vermittelter Sprache sehr gut erforscht. Für die Bildsprache gilt das nicht. Der ungeübte Betrachter reduziert Bilder oftmals auf ihre emotionale Wirkung: Sie gefallen – oder eben nicht. Dabei können Bilder eine eigene Sprache sprechen – vorausgesetzt, Fotografen oder Grafikdesigner beherrschen ihr Handwerk. Oder ihre Kunst.
Man stelle sich vor, B2B-Unternehmen würden sich die Magie von Bildern zunutze machen. Welch große Wirkung könnten sie erzielen? Denn im Kontext der Bildmagie hat alles eine Bedeutung – von der Perspektive über die Farbauswahl bis hin zum Lichteinfall. Wie es B2B-Unternehmen gelingt, vom Code der visuellen Kommunikation zu profitieren, darüber haben wir mit der Expertin für Bildsprache Dr. Helene Karmasin gesprochen.
Frau Dr. Karmasin, manche Fachleute schreiben dem visuellen Code eine derart große Wirkung zu, dass sie von Manipulation sprechen. Warum haben Bilder eine solche Macht?
Es ist absolut richtig, dass Bilder unterschwellige Botschaften vermitteln. Wer darum weiß, kann beim Rezipienten eine bestimmte Wirkung auslösen. Denn es gibt gewisse Codes, die bei uns im Gedächtnis tief verankert sind und unsere Sehgewohnheiten über viele Jahrhunderte hinweg geprägt haben. Sie basieren auf sehr alten Bildtraditionen beziehungsweise Darstellungsarten. Ein Muster ist zum Beispiel das des Helden. Man erkennt einen Helden daran, dass er seinem Gegenüber nicht direkt in die Augen schaut, sondern an ihm vorbei in die Zukunft blickt. Ein solches Muster ist in unserem Kopf automatisch abrufbar.
Die jeweilige Bedeutung ergibt sich dabei auch aus dem, was das Bild nicht zeigt, das wir jedoch mitdenken, wenn wir es betrachten. Wir sehen das an unserer Sprache: Vieles ist in Gegensätzen geordnet, zum Beispiel „heiß“ und „kalt“. Wir wissen, was „kalt“ bedeutet, weil es im Gegensatz zu „heiß“ steht. Natürlich sind wir mit einem gewissen Repertoire an visuellen Codes vertraut, aus dem wir dann wählen. So lassen sich bestimmte Werte und Botschaften transportieren – manchmal sofort erkennbar, manchmal aber auch subtil und unterschwellig.
Welche visuellen Codes gibt es? Und welche Rolle spielen sie im Marketing?
In meinem Buch unterscheide ich sieben verschiedene Codes:
B2B-Marketer, die mit den Funktionsweisen der Codes vertraut sind, können mit entsprechend inszenierten Bildern eine große Aufmerksamkeit erzielen. Es gibt zum Beispiel eine Baumarktkette, die in ihren Anzeigenmotiven immer wieder auf den Code des Sakralen zurückgreift. Das Beispiel entstammt zwar dem B2C, ist aber dennoch sehr aussagekräftig. Auf dem Bild spielt der Lichteinfall eine zentrale Rolle. Auf einen Mann, der einen Strauch pflanzt, strahlt ein Lichtschein herab. Das verleiht dem Bild eine quasi göttliche Anmutung: Der Mann widmet sich der Gartenarbeit mit einer Leidenschaft, die kein Wenn und Aber duldet. Er ist eins mit sich und seiner Aufgabe, ein Loch für das Bäumchen auszuheben. Er reckt es in die Höhe und schaut heldenhaft am Betrachter vorbei in die Zukunft seines Gartens, in dem die von ihm gepflanzten Sträucher prächtig wachsen und gedeihen. Diese Botschaft verleiht dem Anzeigenmotiv eine große Bedeutsamkeit und Faszination.
Das ist in der Tat ein sehr anschauliches und überzeugendes Beispiel. Woran lässt sich der visuelle Code denn generell festmachen?
Es ist nicht ein Merkmal, das diesen oder jenen Code kennzeichnet. Vielmehr ist es immer ein Zusammenspiel verschiedener Aspekte. Zu den gängigsten Merkmalen gehört neben den Zeichenrepertoires, Bildwelten, Bildmotiven und Topoi auch die Art und Weise, wie sie in einem Bild dargestellt sind. Wichtige Aspekte sind: die Perspektive, die Lichtführung, die Farben, die Anordnung der Objekte im Raum und das aufgerufene kulturelle Wissen. Je nachdem, wie Marketer die Merkmale kombinieren, erzielen sie eine bestimmte Aussage. Und wie das funktioniert, damit müssen sie vertraut sein. Andernfalls können leicht Fehler passieren.
Was raten Sie B2B-Unternehmen, um sich in Sachen Bildsprache zu verbessern?
Wünschenswert wäre, dass sich B2B-Unternehmen überhaupt mit dem visuellen Code beschäftigen und in diesem Zuge eine individuelle Bildsprache definieren, die ihren Purpose, ihre Unternehmenskultur, ihre Haltung und ihre Werte widerspiegelt. Und da wären wir bei einer ganz zentralen Sache: Wenn sich Unternehmen mit dieser Thematik auseinandersetzen, wird vielen überhaupt erst bewusst, dass der visuelle Code eine magische oder gar manipulative Wirkung haben kann. Doch viele B2B-Firmen wollen das gerade nicht: Sie wollen ihre Kunden und Interessenten nicht verzaubern. Ihr Anliegen ist es, mit faktenbasierten Informationen möglichst rational zu überzeugen. Demgegenüber steht ihre Zielgruppe, also Menschen wie wir alle, aus Fleisch und Blut. Und ja, der Mensch will sich hin und wieder in eine andere Welt entführen lassen. Manchmal will er sogar verführt werden.
Wie lösen B2B-Unternehmen diesen Widerspruch auf?
Firmen sollten verinnerlichen, dass B2B-Käufer auch nur Menschen sind, die ebenso emotional beeinflussbar sind wie alle anderen. Diese zutiefst menschliche Eigenschaft sollten sich B2B-Unternehmen zunutze machen – auch ohne ihre Kunden und Interessenten zu manipulieren.
Wie gelingt das?
Indem Firmen zunächst definieren, welche Botschaft sie textbasiert vermitteln möchten. Dann gilt es, diese Information visuell zu übersetzen. Dies steigert nicht nur die Wirkung der formulierten Botschaft, sondern unterstreicht auch die Bedeutsamkeit und Einzigartigkeit des Unternehmens. Firmen sollten Bilder zum Beispiel auch dafür nutzen, die Besucher ihrer Website emotional anzusprechen, anstatt sich nur auf die Fakten in den Texten zu konzentrieren. Dabei sollten sie jedoch keine beliebigen und austauschbaren Bilder verwenden – was bei Stockfotos oft der Fall ist. Es gilt, den visuellen Code, den man für das eigene Unternehmen festgelegt hat, in jeder Einzelheit zu vermitteln. Man stelle sich ein Start-up vor, das eine innovative Technologie präsentiert. Was spricht den Betrachter mehr an? Diagramme, welche die Vorteile schildern? Das flankierende Bild eines stereotypischen „Erklärers“, entnommen aus einer Bilddatenbank? Oder das Foto eines realen Produktentwicklers bei der kreativen Arbeit? Und hier stellt sich die Frage: Braucht es einen besonders innovativen visuellen Stil?
Wie lautet Ihre Antwort?
Beim Streben nach einer möglichst innovativen Bildsprache kann man es auch übertreiben. In meinem Buch beschreibe ich das Beispiel eines Zahnarztes, der auf seiner Website sehr originell und kreativ ist. Soll heißen: Er präsentiert sich dort in einem rosafarbenen Tutu. Hand aufs Herz: Wer geht zu solch einem Zahnarzt? Da muss man als Patient schon hart im Nehmen sein und einen sehr speziellen Humor haben. Unternehmen sollten sich also genau überlegen, welche Wirkung sie mit einem Bild erzielen möchten: Soll der Betrachter sie als erfahren, professionell, umsetzungsstark, dynamisch, agil, kreativ, innovativ und so weiter wahrnehmen? Und daran ist dann der visuelle Code auszurichten. Wichtig ist noch, zu wissen, dass es gelernte Codes für verschiedene Produktkategorien gibt. Diese können Unternehmen bedienen – idealerweise mit einer Prise subtiler Originalität. Oder sie können das krasse Gegenteil tun, wie der Zahnarzt. Für welchen Ansatz auch immer sich Unternehmen entscheiden – sie sollten diese Entscheidung bewusst treffen.
Apropos Entscheidung. Viele B2B-Unternehmen entscheiden sich dazu, in Marketing und Werbung mit externen Dienstleistern zusammenzuarbeiten. Wie lässt sich sicherstellen, dass Agenturen den visuellen Code richtig anwenden?
Es geht im Marketing unter anderem darum, die zentralen Werte des Unternehmens mithilfe von Bildern fühlbar zu machen. Diese Werte sind zunächst zu definieren. Unternehmen können das selbst tun oder sich dabei professionell unterstützen lassen. Auf dieser Grundlage ist der Dienstleister, der die Werte visuell übersetzen soll, genau zu briefen. Und natürlich muss das Unternehmen die gelieferten Bilder entsprechend den eigenen Vorgaben bewerten: Drücken sie aus, was man kommunizieren möchte? Wir haben mit „Bildmagie“ ein Beratungstool entwickelt, das Unternehmen in genau diesen drei Phasen begleitet.
Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?
Dieses dreistufige Vorgehen optimiert den Prozess, Bilder für sich sprechen zu lassen, ganz praktisch: Im Briefing sind zum Beispiel die Codes zu beschreiben, die man zur Verfügung hat, wenn man bestimmte Werte kommunizieren möchte. Es geht nicht nur um kreative Einfälle von Agenturen. Gleiches gilt für die endgültige Bildauswahl. Sie sollte weder nach Gefühl und Gefallen noch über empirische Tests allein erfolgen. Empirische Tests über die Wirkung von Bildern sind wichtig, aber sie sie sind auch problematisch. Ungeübte können zumeist nicht artikulieren, warum ein Bild gefällt oder nicht gefällt. Sie finden es schön oder hässlich oder langweilig – etwas in der Art. Doch die subtilen Bedeutungen, die mitschwingen, sind ihnen oft nicht bewusst. Heikel ist auch die Tatsache, dass sie nur das Gesehene beurteilen, aber keine anderen Optionen mitdenken, also wie das Bild anders oder besser hätte aussehen können.
Gibt es weitere Aspekte, die bei der Bildmagie wichtig sind?
Wichtig ist auch, dass der visuelle Stil an allen Kontaktpunkten und auf jeglichen Ebenen des Unternehmens gleich ist: Es sollte sich in den sozialen Medien, in Newslettern, Printanzeigen, Prospekten, Geschäftsberichten oder auch bei der Darstellung der eigenen Repräsentant:innen auf dieselbe Art und Weise inszenieren.
Was passiert, wenn das nicht gelingt?
Wir stoßen immer wieder auf Beispiele, bei denen die Werte des Unternehmens von der visuellen Übersetzung dramatisch abweichen. So zeigte ein Unternehmen, das für Verantwortung und ganz sorgfältige Herstellungsverfahren stand, auf seiner Website die Maschinen, die seine Produkte herstellen. Was es nicht zeigte, war der Code der Nähe, der erforderlich gewesen wäre. Um die gewünschte Wirkung zu erzeugen, sind im Übrigen nicht nur die Bildmotive wichtig, sondern alles, was einen Code ausmacht: die Perspektive, die Lichtführung, der Farbcode und dergleichen. Ganz elementar ist die Entscheidung, ob man eine Bildtradition aufgreift und dabei subtil von ihr abweicht – wozu ich in den allermeisten Fällen raten würde.
Das klingt absolut nachvollziehbar. Ist der visuelle Code denn auch bei der internen Kommunikation wichtig?
Unbedingt! Visualität wirkt ebenso nach innen. Glaubwürdig und authentisch zu kommunizieren, das gilt ebenso intern. Wichtig ist, dass Unternehmen bei jeglicher Kommunikation konsistent sind. Wer nach außen predigt, stolz auf seine Mitarbeitenden zu sein, sollte sich im Umgang mit ihnen entsprechend wertschätzend verhalten. Und eine solche Haltung müssen dann natürlich auch die verwendeten Bilder zum Ausdruck bringen, etwa in einer Mitarbeiterzeitung oder dem Mitarbeiter-Newsletter. Was auch immer Unternehmen mit dem visuellen Code anstellen möchten – sie brauchen ein Konzept und entsprechendes Know-how, ob sie das intern haben oder sich externe Unterstützung holen. Der Einsatz von Bildern will sorgfältig geplant sein. Denn der visuelle Code ist allgegenwärtig. Und er kann einen wichtigen Wettbewerbsvorteil darstellen.
Frau Dr. Karmasin, vielen Dank für das Gespräch und den Einblick, den Sie uns in die Welt der Bilder gewährt haben.
Dr. Helene Karmasin leitet das Institut Helene Karmasin Behavioural Insights, das den Ansatz der Behavioural Economics zum ersten Mal in Österreich auf Marktforschung und Kommunikationsberatung anwendet. Als Expertin für qualitative Marktforschung und semiotische Analysen berät sie seit Jahren internationale Markenartikel- und Dienstleistungsunternehmen hinsichtlich Strategie, Umsetzung und empirischen Tests. Ihr besonderes Interesse gilt der Einbettung von Produkten und Marken in die Kultur zeitgenössischer Gesellschaften. Ihr Fachbuch Bildmagie – Die Codes der visuellen Kommunikation ist kürzlich im Haufe Verlag erschienen.
Dr. Helene Karmasin auf LinkedIn
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