- DOMINIK CASTILLO
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How to be relevant – Bedeutung bekommen, statt nur gesehen werden. Unter diesem Motto hätte der Neuromarketing Kongress 2020 stattgefunden. Auch ohne Veranstaltung ist das Thema brandaktuell. Im Zur-Sache-Interview erläutert Neurowissenschaftler Prof. Dr. Martin Korte, wie unser Gehirn Relevanz erzeugt.
25. November 2020
Herr Prof. Dr. Korte, in Ihrer Keynote wären Sie darauf eingegangen, wie das Gehirn Bedeutung generiert und welche Aufmerksamkeitssysteme dabei eine Rolle spielen. Ihren Vortrag konnten Sie leider nicht halten. Dennoch möchten wir gern wissen, wie Relevanz entsteht.
Man könnte sagen, dass in unserem Gehirn ein permanenter Kampf um Aufmerksamkeit herrscht. Es entscheidet alle drei Sekunden, wem oder was es seine Aufmerksamkeit schenkt. Dabei konkurrieren verschiedene Hirnbereiche – oder Aufmerksamkeitssysteme – miteinander. Wenn wir beispielsweise Lernen wollen und uns dabei der Magen knurrt, fechten der Hippocampus (Lernen) und der Hypothalamus (Hunger) einen Kampf aus. Das Gehirnareal, das dabei eine größere Aktivität verzeichnet, setzt sich am Ende durch: Wir lernen weiter oder genehmigen uns einen Snack.
Ob wir etwas unsere Aufmerksamkeit widmen und es damit für relevant erachten, ist abhängig davon, wie viele Nervenzellen im entsprechenden Bereich unseres Gehirns gleichzeitig aktiv sind. Man muss sich vorstellen, dass pro Sekunde rund 400.000 Sinnesreize auf uns einwirken. In unserem kognitiven Arbeitsspeicher können wir aber nur 120 Bits pro Sekunde verarbeiten – rund die Hälfte benötigen wir zum Beispiel, um einem Gesprächspartner zuzuhören. Damit ein Reiz unsere Aufmerksamkeit erhält, sollte er entweder emotional oder sozial konnotiert sein. Für Emotionen haben wir per se die höchste Empfänglichkeit. Der soziale Kontext ist wichtig, damit wir eine Person oder Marke als authentisch empfinden. Und Authentizität ist wiederum entscheidend, weil unser Gehirn diesen Aspekt als besonders relevant erachtet – und darum authentischen Botschaften eine größere Aufmerksamkeit widmet.
Dabei sind wir diesen alten archaischen Gehirnmechanismen nicht hilflos ausgeliefert. Wir können durchaus mitbestimmen, wem oder was wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Reize, die von außen auf uns einwirken, sind im Konflikt miteinander. Dieser Kampf wird im evolutiv jungen Stirnlappen ausgetragen, dem Sitz unseres Arbeitsgedächtnisses. Es erzeugt nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Achtsamkeit. Je besser unser Arbeitsgedächtnis trainiert ist, desto eher sind wir in der Lage, über äußere Reize nachzudenken und bewusst zu entscheiden, ob wir uns zum Beispiel auf die Lektüre eines spannenden Buchs konzentrieren oder uns von einem Radiospot ablenken lassen. Ein untrainiertes Gedächtnis trifft eine unbewusste Entscheidung, die wir nicht einmal bemerken. Bezogen auf Marketing und Werbung bedeutet das: Die Kunst besteht darin, den Werbeimpuls, den sogenannten Priming-Stimuli, so zu setzen, dass er beim Adressaten unbemerkt und unbewusst Aufmerksamkeit erregt. Das gelingt nicht nur über soziale und emotionale Aspekte, auch Überraschungen und Unvorhergesehenes können ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit erregen.
Was müssen Marken tun, um für ihre Zielgruppe relevant zu sein?
Das oberste Gebot für Relevanz lautet: Authentizität. Nur wer selbst an das glaubt, was er sagt, dem glauben auch andere. Im unbewussten Kampf um Aufmerksamkeit prüfen Konsumenten die Botschaften und Versprechen von Marken permanent auf ihre Glaubwürdigkeit und Sinnhaftigkeit. Wer eine spezifische Nische bedient, hat größere Chancen, die Aufmerksamkeit seiner Zielgruppe zu erhalten. Daneben müssen Marken die richtige Balance zwischen Bekanntem und Neuem finden. Geläufige Assoziationen erzeugen ein Gefühl von Vertrautheit, während Überraschungen ein starker Aufmerksamkeitsstifter sind. Das heißt: Eine Anzeige ist dann relevant, wenn sie bewährte und ungewöhnliche Elemente kombiniert. Das gelingt, indem Unternehmen an das Wissen der Kunden anknüpfen und zugleich den Überraschungseffekt nutzen. Ein Extrembeispiel sind hier sicherlich verschiedene Benetton-Kampagnen aus den 1990er Jahren. Für seine sehr provokanten Motive hat Benetton viel Aufmerksamkeit, aber auch Gegenwind und Antipathie erhalten. Marken, die durchweg positive Assoziationen erzeugen, sind zum Beispiel Coca-Cola und Adidas. Insbesondere die TV-Spots von Coca-Cola sprühen geradezu vor Lebensfreude, die sympathischen Models von Adidas vermitteln glaubhaft, dass Sport Spaß macht. Derartige Botschaften kommen bei Konsumenten sehr gut an.
Als Professor für zelluläre Neurobiologie kennen Sie sich mit dem Gehirn bestens aus. Viele Menschen sind mit der Vielzahl an Kommunikationskanälen und Touchpoints überfordert. Ist unser Gehirn überhaupt in der Lage, sich der rasanten technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen?
Evolutionär betrachtet, kann sich das menschliche Gehirn an kulturelle Veränderungen anpassen. Genau darum ist es so groß. Im Vergleich zum Schimpansen ist das menschliche Gehirn rund ein Kilo schwerer. Wir haben uns an den Buchdruck gewöhnt, und auch mit digitalen Medien kommen wir immer besser zurecht. Dass das aber seine Zeit braucht, ist wieder mit dem recht kleinen Arbeitsspeicher zu erklären. Evolutionsbedingt kann er nur wenige Informationen pro Zeiteinheit verarbeiten. Strömen zu viele Reize auf uns ein, kann unser Gehirn unterschiedliche Variablen nicht mehr richtig gewichten. Das hat zur Folge, dass wir nicht mehr erkennen, was bedeutsam und relevant ist. Dabei gilt: Soziale Signale haben immer Vorfahrt und sind damit relevant. Übertragen auf das Marketing bedeutet das: Marken müssen einen bekannten sozialen Kontext schaffen, der das Vorwissen und die Herkunft der anvisierten Zielgruppe berücksichtigt. Erst im zweiten Schritt ist es ratsam, die gewonnene Aufmerksamkeit mithilfe von überraschenden Elementen auf das beworbene Produkt zu lenken.
Herr Prof. Dr. Korte, vielen Dank für das spannende Gespräch und den Einblick in die Funktionsweise unseres Gehirns!
Dr. Martin Korte ist Professor für Zelluläre Neurobiologie und Direktor des Zoologischen Instituts an der Technischen Universität Braunschweig. Sein Forschungsschwerpunkte sind die zellulären Grundlagen von Lernen und Gedächtnis, ebenso wie die Vorgänge des Vergessens. Daneben ist er Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft.
Möglichkeit zur Vernetzung:
Prof. Dr. Martin Korte auf LinkedIn
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