- DOMINIK CASTILLO
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Alle Welt spricht von künstlicher Intelligenz. Auch im Marketing gibt es unzählige Einsatzmöglichkeiten. Was KI in diesem Kontext bedeutet, welche Vorteile KI-basierte Lösungen eröffnen und wie B2B-Unternehmen davon profitieren können, erläutert Prof. Dr. Andreas Wagener im Zur-Sache-Interview.
8. Januar 2020
Herr Wagener, beinahe täglich liest man von KI-basierten Lösungen, die das Potenzial haben, unser aller berufliches und privates Leben auf den Kopf zu stellen. An der Hochschule Hof lehren und forschen Sie unter anderem in den Bereichen Künstliche Intelligenz und Datenökonomie. Wie lässt sich KI im Marketing sinnvoll einsetzen?
Künstliche Intelligenz wird oft sehr inflationär, als Buzzword gebraucht, das sich heute in vielerlei Art und Weise interpretieren lässt wird. Ich versuche daher immer, mich dem Begriff schrittweise zu nähern, über die Aufgaben, Ziele und möglichen Bestandteile von KI. Für mich hat KI zunächst einmal vor allem mit Datenverarbeitung zu tun. Ohne Daten keine KI-basierten Systeme. Und diese Systeme lassen sich ganz unterschiedlich einsetzen. Zum einen geht es darum, Muster zu erkennen und daraus bestimmte Prognosen abzuleiten. Dafür braucht es meist große Mengen an Daten, Stichwort: Big-Data. Zum anderen ist eine ganz wesentliche Komponente von KI, dass sie eigenständig dazu lernt. Nur dann ist sie intelligent – ähnlich wie ein Hund, der das Apportieren lernt und damit als intelligent gilt.
Für künstliche Intelligenz im Marketing gibt es viele verschiedene Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel im Rahmen der Conversion-Optimierung. Hier gilt es, Kanäle, Zielgruppen und Werbemittel so zu kombinieren, dass am Ende das beste Ergebnis steht. Eine bewährte Methode sind A/B-Tests, die jedoch sehr aufwändig sind. Für eine KI hingegen sind solche Tests ein Kinderspiel. Sie erarbeitet eine eigenständige Strategie, spielt verschiedene Kombination durch und verfeinert die besten Optionen immer weiter – bis hin zu den perfekten Matches. Anders, als viele denken, braucht sie dafür keinen großen Datenbestand. Sie generiert die Daten selbst, quasi nebenbei. In der Theorie bezeichnet man diesen Ansatz als verstärkendes Lernen. Die KI hat das Ziel, die bestmögliche Kombination zu finden, das ist ihr Anreiz.
Ein weiterer Ansatz ist das sogenannte Supervised-Learning, das überwachte Lernen. So kann man einer künstlichen Intelligenz beispielsweise beibringen, was ein Apfel und was eine Birne ist. Indem sie das Gelernte anwendet und man sie dabei auf Fehler hinweist, kann sie die entsprechende Unterscheidung immer sicherer treffen, sie wird sukzessive intelligenter. Schlussendlich soll eine KI in der Lage sein, eigenständig ein Modell zu entwickeln und auf dieser Basis bestimmte Ereignisse vorherzusagen. Wir kennen diese Verfahren im Marketing ursprünglich von den Spam-Filtern in unseren E-Mail-Accounts. Indem wir immer wieder einzelne Nachrichten als unerwünscht markieren, lernt das System, Muster zu erkennen. Eine KI nutzt diese Muster dann als Filter, um zukünftige Spam-Mails auszusortieren.
Und dann gibt es noch das Unsupervised-Learning, das unüberwachte Lernen. Hierbei geht es darum, bestimmte Regeln oder Anomalien aufzuspüren. Im Rahmen der Kundenbetreuung clustern Unternehmen ihre Kunden zu verschiedenen Segmenten, etwa nach einer ABC-Kategorisierung im Hinblick auf den Umsatz. Was dabei außen vor bleibt, sind zum Beispiel Neukunden, bei denen noch gar nicht absehbar ist, wie sich die Zusammenarbeit in Zukunft entwickeln wird. Oder auch die Tatsache, dass C-Kunden durchaus finanzstark sein können, ihr Budget aber bei der Konkurrenz landet. Wenn eine KI hier auf alle verfügbaren Daten zurückgreifen kann, aus der CRM-Lösung, aus dem ERP-System und so weiter, ist sie in der Lage, verborgene Strukturen zu entdecken und bislang ungenutzte Potenziale aufzuzeigen.
Daneben gibt es eine Reihe kleinerer Tools, die B2B-Unternehmen einfach herunterladen können, etwa für die automatisierte Texterstellung, wie sie bei Sportereignissen bereits gang und gäbe ist. Auch erste Blogs werden bereits von einer KI verfasst, das gelingt schon sehr gut. Mit einer KI können Unternehmen auch testen, ob ein werblicher Claim in einem E-Mail-Betreff funktioniert. Oder sich gleich verschiedene Claims vorschlagen lassen. Was unlängst für Aufregung gesorgt hat, sind KI-generierte Stockbilder von lächelnden Menschen. Die dahinterstehende Agentur hat diese Bilder verschenkt, denn ihre Erzeugung hat schließlich fast nichts gekostet. Auch wenn man es auf den ersten Blick nicht erkennen mag, steckt darin doch disruptiver Zündstoff. Würde sich die KI-basierte Bilderzeugung durchsetzen, wären Modelagenturen, Fotografen und Models ersetzbar. Und damit wäre eine ganze Branche auf einen Schlag überflüssig.
Das regt zum Nachdenken an. Vor dem Hintergrund all dieser bahnbrechenden Entwicklungen stellt sich die Frage, ob das Thema nicht doch überbewertet sein könnte. Schließlich steckt die Entwicklung noch in den Kinderschuhen und entsprechende Lösungen sind längst nicht praxisreif. Wie ist Ihre Einschätzung?
Man muss schon sagen, dass Deutschland in Sachen Forschung und Entwicklung hinterherhinkt. Dennoch ist künstliche Intelligenz auch bei uns fester Bestandteil des Lebens, man denke nur an Amazons Alexa und Google Home. Auch die Newsfeeds bei Facebook und Google werden KI-basiert erzeugt und ausgespielt. Neben diesen Beispielen aus dem privaten Alltag gibt es aber auch Business-Anwendungen, die bereits sehr gut funktionieren. In fast allen Bereichen ist es so, dass eine KI eine konkrete komplexe Aufgabe schon nach wenigen Monaten besser lösen kann als der Mensch – sofern die Datenbasis ausreichend ist. Ein Beispiel aus dem Marketing ist die automatisierte Planung und Umsetzung von Google-Ads-Kampagnen. Die KI wählt passende Keywords aus, optimiert die Anzeigentexte und berechnet das erforderliche Budget. Wobei man sich natürlich fragen muss, ob man das will, also dass derjenige den finanziellen Rahmen festlegt, bei dem das Geld später landet.
Oder wir schauen uns eine KI-gestützte Controlling-Software an. Die Basis bildet ein qualitativ hochwertiger, aktueller CRM-Datenbestand. In eine zentrale Datenbank sollten neben den CRM-Daten viele weitere Informationen einfließen: Wie schnell bezahlen Kunden offene Rechnungen? Wo gibt es Anlass für Beschwerden? Wie viele Mitarbeiter beschäftigen einzelne Unternehmenskunden? Und so weiter. Wichtig ist, auch anzugeben, aus welchem Quellsystem die jeweilige Information stammt. Sind alle Daten zusammengetragen und miteinander verknüpft, kommt die KI ins Spiel. Sie erkennt Muster, Gemeinsamkeiten und Unregelmäßigkeiten, zum Beispiel im Hinblick auf Standorte, Mitarbeiterzahlen, verkaufte Lizenzen und jährliche Produktneuheiten. Aufgrund der Unmenge und Komplexität der zugrundeliegenden Daten wäre ein Mensch wahrscheinlich niemals in der Lage, derartige Erkenntnisse zu liefern. Was er jedoch kann, ist, daraus die richtigen Entscheidungen abzuleiten. Welche Schmerzpunkte gibt es? Und zwar firmenübergreifend. Aus dem dokumentierten Verhalten von Unternehmen und den Analysen einer künstlichen Intelligenz lassen sich im Idealfall neue Geschäftsmodelle ableiten.
Das klingt in der Tat spannend. Was raten Sie B2B-Unternehmen, die mit dem Einsatz von KI liebäugeln?
Die wichtigste Empfehlung wäre, dass sie nicht versuchen sollen, das Rad neu zu erfinden. Viel zielführender ist es, bestehende Lösungen, die häufig sogar frei verfügbar sind, zu nutzen und für den eigenen Zweck anzupassen – entweder mit internen Ressourcen oder durch einen externen Dienstleister. Einen Datenbestand, der umfangreiche Big-Data-Analysen zulässt, selbst aufzubauen, ist meist schwierig. Damit ist die Mehrzahl der Unternehmen schlicht und einfach überfordert. Stattdessen sollten sie sich an den Großen orientieren und auf bestehende Plattformen zugreifen. Der Prozessor- und Chip-Hersteller Nvidia betreibt eine solche Plattform für Daten zum Autonomen Fahren. Automobilkonzerne wie Mercedes, BMW oder Toyota nutzen dieses Angebot, um so ein Gegengewicht zu Googles Datenpool errichten zu können. Wenn man bedenkt, wie weit die eigentlichen Konkurrenten dabei offensichtlich bereit sind, sich gegenseitig Einblicke in ihre Forschung und Entwicklung zu gewähren, bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, was notwendig ist, um in Sachen KI an vorderster Front bestehen zu können. So etwas allein auf die Beine zu stellen, kann einem mittelständischen Unternehmen nicht gelingen. Stattdessen ist Kooperation, auch mit potenziellen Wettbewerbern, gefragt.
Daneben ist es meines Erachtens wichtig, die grundsätzliche Managementausrichtung zu überdenken. Um die Herausforderungen der digitalen Transformation bewältigen zu können, brauchen Unternehmen eine „Data First!“-Strategie. Lassen Sie mich kurz erklären, was ich damit meine. Bei einer solchen Denkweise wird der Kunde nicht mehr nur allein als Absatzfaktor betrachtet, stattdessen muss es heißen: Kunde ist, wer Daten produziert. Erst dann ist es nämlich möglich, Datenökonomie im Unternehmen nachhaltig zu etablieren und KI tatsächlich nutzbar zu machen. Hierfür bedarf es aber eines tiefgreifenden Umdenkens auf Seiten des Managements. Weg von der alleinigen, kurzfristigen Absatzfixierung, hin zur Frage: Wie ist es möglich, Potenziale mittels Daten langfristig zu heben? Das mag zunächst banal klingen, aber das muss man sich erst einmal trauen. Doch ich bin davon überzeugt, dass dieser Mut dringend notwendig ist. Die Digitalisierung wartet nicht, schon gar nicht in der jetzigen Phase von KI. Wer heute zögert und zaudert, hat morgen den Anschluss verpasst. Und zwar endgültig!
Dr. Andreas Wagener ist Professor für Digitales Marketing, E-Commerce und Social Media an der Hochschule Hof/University of Applied Sciences. Daneben verantwortet er als Partner und Gesellschafter der Vertriebs- und Marketingberatungsagentur Lutz & Wagener die Themenfelder Strategie, Business Development, Interim Management und Agenturtätigkeiten (Media und PR). Davor war er seit 1999 in verschiedenen Führungspositionen im Medienumfeld tätig – mit den Schwerpunkten Marketing und Sales sowie Entwicklung und Vermarktung digitaler Geschäftsmodelle.
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